Der Mann des Schicksals
Komödie von George Bernard Shaw

Der Mann des Schicksals

"The Man of Destiny"

"Der Shawsche Napoléon muss sich der Inquisition einer durch seinen Ruhm als Schlachtenlenker und angehender Welteroberer unbeeindruckten Frau stellen. Dabei bleibt Shaw freilich fair genug, den Sieger von Lodi in dem temperamentvollen Redescharmützel mit der schönen österreichischen Spionin nicht den Kürzeren ziehen zu lassen. Doch die anerkennend schmunzelnde Reverenz, die er ihm bezeigt, gilt nicht dem legendären Genius der Kriegskunst, als den ihn die romantisierende Überlieferung schildert, sondern dem illusionslosen Menschenkenner und Realpolitiker, der sein militärisches, mathematisches und psychologisches Wissen kaltblütig zur Verfolgung seiner Machtpläne nutzt und sich durch hurra-patriotische Beteuerungen von der angeblichen Gottgefälligkeit gerechter Kriege nicht blenden lässt. Eben deshalb ist er auch der rechte Mann, das Verdammungsurteil über all die Schönredner und Pharisäer zu fällen, die den eigenen schäbigen Egoismus noch stets mit dem fadenscheinigen Mäntelchen höherer Zweckbestimmung zu umhüllen verstehen [...]." (Klaus Udo Szudra, 1974)

Shaw gilt bis heute nicht zu unrecht als größter britischer Dramatiker neben Shakespeare: Er wusste virtuos mit den Mitteln des Theaters umzugehen und war ein Meister der scharfzüngigen Ironie und der psychologischen Demaskierung, die zugleich mit seinen Dramengestalten soziale Missstände oder Zeiterscheinungen pointiert entlarvt. Eine Art "lachender Ibsen", wie er sich auch selbst sah. Die seiner Zeit vorauseilende realistisch-analytische Sichtweise und sein geistvoller Humor machen seine Stücke auch heute noch zu einem spannenden Vergnügen ersten Ranges. Die Charaktere, die uns von seiner Bühne entgegentreten, sind so natürliche, pragmatische, moderne Menschen, mit klarem Verstand und allzu menschlichen Schwächen, dass uns die Behauptung eines historischen Kontexts in Kostüm und Bühnenbild eher als reizvoller Kontrast erscheint. Das Feuerwerk von Paradoxa, Hintersinn und Widerspruchsgeist, das Shaw in dem Einakter "Mann des Schicksals" über uns ergießt, lässt die skurrilsten Konstellationen nicht nur der Geschlechter ganz selbstverständlich wirken.

Man sollte sich darauf gefasst machen, von Shaw immer wieder hinters Licht geführt zu werden. Ist die geheimnisvolle Dame wirklich eine österreichische Spionin, wie Szudra oben vermutet? Oder vielleicht eine politische Intrigantin? Eine raffinierte Verehrerin Napoléons? Und bedeutet, dass Napoléon "nicht den Kürzeren zieht", schon, dass er die Oberhand behält? Was macht die gestohlenen Depeschen wirklich so brisant?


Fotos:

Besetzung:
Napoléon:David Grenzel
Dame:Simone Plötz (Voiß), Antje Rach
Leutnant:Mathias Wege, Thomas Liebezeit
Giovanna Grandi, Wirtin:Stepanka Dittrichova
Sprecher:Kay Gürtzig
Regie:Kay Gürtzig, Mathias Wege, Thomas Liebezeit

Premiere:
10. April 2001