Die kahle Sängerin
Anti-Stück

Die kahle Sängerin

"Ein gutbürgerliches englisches Interieur mit englischen Fauteuils. Eine englische Abendunterhaltung. Mr. Smith, ein Engländer, mit seinen englischen Pantoffeln, sitzt in seinem englischen Fauteuil, raucht eine englische Pfeife und liest eine englische Zeitung an einem englischen Kaminfeuer. Er trägt eine englische Brille, einen kleinen grauen englischen Schnauz! Neben ihm, in einem zweiten englischen Fauteuil, Mrs. Smith, eine Engländerin, die englische Socken flickt. Ein langes englisches Schweigen ..."

Nach einer solchen Regieanweisung kann eigentlich nur noch Absurdes folgen. Und so kommt es denn auch in Eugène Ionescos 1950 uraufgeführtem Stück „Die kahle Sängerin“. Über weite Strecken gaben die typisch verschrobenen Dialoge eines Englisch-Lehrbuchs Ionesco offenbar die Inspirationen für dieses Bühnenwerk. (Wer kennt z. B. noch Tom und Peggy nebst Diana Loeser aus „English for you“ im DDR-Fernsehen?)

Doch es geht um etwas Anderes:

Die vorgefundenen Sprachklischees erschienen Ionesco offenbar als perfekte Karikatur auf oberflächliche Konversation gelangweilten und echter Emotionen verlustig gegangenen (Klein- und Möchtegern-) Bürgertums. Er trieb die floskelhafte Nicht-Kommunikation einfach auf die Spitze, um damit mitleidlos die auf Distinktion bedachten, zu emotionalen Untoten degenerierten Zeitgenossen anzugreifen.

Und wie sieht es heute um uns herum aus? Wer täglich das Gesülz von Stars und Sternchen, von DSDS-„Berühmtheiten“ und zu Tode interviewten Spitzensportlern in den Ohren hat, von Blogs und Getwitter, von tausendfach vervielfältigten Nichtigkeiten umwabert wird, den kann das Auslöschen jeglicher Bedeutung im Geäußerten schwerlich auch nur überraschen.

Doch unter dem Treibeis ritualisierter Wortwechsel, deren Inhalt den größten Unfug behauptet, konturiert sich realpsychologischer Subtext: Das wabernde Ressentiment, die unsichtbaren Frontlinien erstarrter ehelicher Grabenkämpfe. Die zwar absurden, aber durchaus dem Leben abgeschauten, halbherzigen Versuche der Wahrung etwa des Besitzstands längst zum Überdruss geronnener Beziehungsruinen, treiben überraschende Spannungsbögen, denen indes die kathartische Entladung verwehrt bleibt. Dosierte Boshaftigkeiten brechen sich hinter vermeintlichen Artigkeiten oder Belanglosigkeiten Bahn, kleine Geschichten schimmern auf, bieten Raum für Ansätze wirrer erotischer Eskapaden. Lange angestaute Aggressionen schießen ins Kraut. Unter dem Strich indes grüßt täglich das Murmeltier.


Presse:


Fotos:

Besetzung:
Mr. Smith:Torsten Sachse
Mrs. Smith:Silke-Maria Otto
Mary:Gerit Schwanengel
Mr. Martin:Thomas Otto
Mrs. Martin:Christine Rohrberg
Feuerwehrhauptmann:Martin Herzberg
Wanduhr:Kay Gürtzig

Aufführungsrechte:

Desch Theaterverlag, München


Premiere:
2. Juni 2010